Die Angst vor dem Scheitern und die damit zusammenhängende gesellschaftliche Stigmatisierung kann Innovationen am Gründungsstandort Deutschland ausbremsen oder Neugründungen erst verhindern. Warum Scheitern in Deutschland noch gesellschaftsfähiger werden muss, was das psychologische Konzept der Demut damit zu tun hat und warum das amerikanische „Fail Fast“ trotzdem nicht immer die bessere Lösung ist.
Fehlgeschlagene Investitionen, Kündigungen, Insolvenzen, gescheiterte Gründungsprojekte: Insbesondere die Deutschen tun sich schwer, offen mit großen und schwerwiegenden Fehlern umzugehen. Die „German Angst“ – unter anderem die vor dem Scheitern – hat es als Stereotyp schon früh in die internationalen Schlagzeilen geschafft.
Laut einem Paper von KfW-Research verbirgt sich hinter den Scheiter-Ängsten deutscher Unternehmer:innen vor allem die Angst vor finanziellen Belastungen – und nicht wie vielleicht zunächst vermutet die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung. „Stigmatisierung gescheiterter Unternehmer gibt es zwar in Deutschland – nicht jedoch als breites Gesellschaftsphänomen. Die Angst vor Stigmatisierung kann gescheiterte Unternehmer davon abhalten, eigene Fehler und Mängel aufzuarbeiten. Dies ist aber notwendig, wenn man aus ihnen lernen und die eigenen unternehmerischen Kompetenzen stärken will“, heißt es dort.
Tatsächlich liegt die Angst vor dem Scheitern in Deutschland laut dem Amway Global Entrepreneurship Report 2020 mittlerweile sogar knapp unter dem globalen Durchschnitt. Zwar gehören das benötigte Kapital sowie die Angst vor dem Scheitern mit jeweils 31 Prozent noch immer mit zu den größten Hindernissen für eine Gründung. Doch ganze 32 Prozent der Befragten (18 Prozent im globalen Durchschnitt) gaben an, dass sie ganz einfach kein Bedürfnis haben, ein eigenes Business zu starten. Ein weiteres überdurchschnittlich hoch bewertetes Hindernis stellte mit 27 Prozent der „Umgang mit rechtlichen Vorgaben wie EG-Verordnungen, Steuern, Gewinn- und Verlustrechnungen“ dar.
Neue Forschungsergebnisse: Die Bedeutung von Demut beim Fehler machen
Innovativ kann ein Unternehmen nur sein, wenn es auch Fehler zulässt und aus ihnen lernt. Insofern ist es für den langfristigen Erfolg von Unternehmen relevant, einen konstruktiven Umgang mit Fehlern zu etablieren. Mit dieser Thematik beschäftigt sich unter anderem die Forschung von Juniorprofessor Christoph Seckler, der 2021 vom Wirtschaftsmagazin Capital mit als einer der „Jungen Elite – Top 40 unter 40“ aus den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sowie in der Wissenschaft ausgezeichnet wurde.
Im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes untersuchte er gemeinsam mit Sebastian Fischer von der Hamm-Lippstadt University of Applied Sciences und Kathrin Rosing von der Universität Kassel, welche Eigenschaften über einen konstruktiven Umgang mit Fehlern im Unternehmen entscheiden. Und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Das psychologische Konzept der Demut stellte sich als entscheidend dafür heraus, effektiv mit Fehlern im Unternehmen umzugehen. Damit wurde die bisherige Theorie des Fehlermanagements in einem wesentlichen Punkt ergänzt. Unter Demut verstehen die Autor:innen „die Bereitschaft, sich selbst richtig einschätzen zu wollen, andere für ihre Stärken und Beiträge wertzuschätzen und von anderen lernen zu wollen“, heißt es in der von der ESCP Business School in Berlin verfassten Pressemitteilung auf idw.
Christoph Seckler fasst gegenüber ESCP zusammen: „Lange ging die Forschung davon aus, dass Selbstwirksamkeit entscheidend für die Entwicklung eines Fehlermanagement-Mindsets sei. Nun zu sehen, dass Demut sogar noch entscheidender ist, zeigt wie relevant eine alte Tugend für den modernen Arbeitsplatz sein kann.“
Fehlerkultur in den USA: Scheitern als Selbstzweck?
Das Land, das insbesondere durch das Silicon Valley für eine Fehlerkultur par excellence steht: die USA. Für amerikanische Seriengründer:innen gehört es fast zum guten Ton, bereits einige Male allumfassend und existenziell gescheitert zu sein, nur um sich von dort aus wieder nach oben gearbeitet zu arbeiten. Manchmal scheint es fast wie eine Glorifizierung vergangener Fehltritte, zumindest von den Startups, die es letztendlich trotzdem geschafft haben. Doch kann Scheitern wirklich Selbstzweck sein? Was ist mit den anderen Geschichten – diejenigen, die ein Unternehmen an die Wand gefahren, ihr komplettes Erspartes verloren und sich nie davon erholt haben? Fest steht: Fehler allein machen eine:n Unternehmer:in noch nicht erfolgreich.
Das KfW-Research Paper verweist auf verschiedene Studien aus Großbritannien, Deutschland und den USA, die im Gegenteil zeigen: Gescheiterte Unternehmer:innen sind bei einem erneuten Versuch im Durchschnitt bestenfalls gleich erfolgreich wie Erstgründer:innen. Andersherum könne ein vorheriger Erfolg jedoch laut Harvard-Ökonomen VC-finanzierten Unternehmer:innen dabei helfen, wieder erfolgreich zu sein: „Success breeds success. It is not about failing. It is about learning.“
Das Konzept ‚Fail fast‘ aus dem in Startup-Kreisen bibelartig zitierten Buch The Lean Startup werde dabei zudem oft missverstanden: „Fail Fast bezieht sich eigentlich nicht auf ganze Unternehmen, sondern auf einzelne Kampagnen, Projekte oder Entwicklungsschritte bei Produkten. Es bezieht sich darauf, Dinge im Kleinen zu testen, um ein Scheitern im Großen zu vermeiden. Man will schnell sehen, was funktioniert und was nicht. Scheitern ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein mögliches Testergebnis aus dem man Schlüsse ziehen kann.“
Mehr über Fehler sprechen, ohne unbedingt mehr zu machen
Fehler passieren jedem und jeder – und wenn wir es zulassen, können wir aus ihnen lernen und persönlich wie beruflich daran wachsen. Die Angst vor dem Scheitern sollte uns nicht lähmen, Großes zu wagen. Damit ist es auch von hoher Bedeutung, dass wir in Deutschland mehr über gescheiterte Projekte und schwerwiegende Fehler sprechen und gemeinsam eine stärkere Fehlerkultur in der Gesellschaft etablieren. Doch es ist ja nicht alles schlecht: So verhindert ein gemächliches, detailreiches Abwägen sowie die Weigerung, existenzielles Scheitern als notwendiges Übel für späteren Erfolg zu akzeptieren, vielleicht doch auch manchen Fehler, der unnötig gewesen wäre.
Ein internationales Veranstaltungsformat, um eine bessere Fehlerkultur zu etablieren, ist die sogenannte „Fuckp Night“. Jeweils drei Unternehmer:innen erzählen dabei schonungslos ehrlich von ihren größten Fehlern und reflektieren, was sie daraus gelernt haben. Am 11. März findet die digitale „FuckUp Night Halle“ statt, ein regionaler Ableger des Formats, der gemeinsam vom Transfer- und Gründerservice der Uni Halle und dem Designhaus Halle der Burg Giebichenstein Halle organisiert wird. Weitere Informationen zu den Speakern und dem Link zur Veranstaltung werden es in den nächsten Tagen hier bekanntgegeben.