Fünf Fragen, fünf Antworten. Die Interview-Reihe aus der WTT-Community. IQIB (Institut für qualifizierende Innovationsforschung & ‑beratung) fragt nach bei Praktiker*innen aus dem WTT. Lebendige Berichte über Transferprojekte und Lessons Learned.
Interview mit Nele Dageförde, CEO am TransMarTech, Kiel
FRAGE 1
IQIB: Welches Transfervorhaben möchten Sie vorstellen? |
Nele Dageförde: Ich möchte die TransMarTech GmbH (TMT), das Transferzentrum für maritime Technologien in Schleswig-Holstein, vorstellen. Wir sehen uns in unserer Rolle nicht als klassisches Transferzentrum, sondern nehmen als Schnittstelle zwischen den Institutionen der Wissenschaft und der maritimen Wirtschaft eine Sonderrolle ein. Das ist ein sehr spannendes Tätigkeitsfeld.
Entstanden ist das TMT im Oktober 2020. Als ich die Geschäftsführung übernommen habe, standen wir noch ganz am Anfang. Es gab einen vorläufigen Maßnahmenbeginn im Rahmen der Projektförderung. Aber das Zentrum befand sich zu dem Zeitpunkt noch im Ausbau. Die Räume waren nicht fertiggestellt: blanker Fußboden, frei liegendes Mauerwerk und überall lagen Kabel. Das fiel zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht weiter ins Gewicht, da aufgrund der Corona-Beschränkungen alle Veranstaltungen zunächst rein digital stattfanden.
Die Initiative zur Gründung des TMT ging ursprünglich vom Wirtschaftsministerium, mit dem Ziel, die Wertschöpfungskette der maritimen Wirtschaft durch Technologietransfer zu verbessern, aus. Unser Gesellschafterkreis ist heterogen, bestehend aus drei Industrie- und Handelskammern Schleswig-Holsteins, der Kieler Wirtschaftsförderung und zwei Vereinen, jeweils einer aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Die regionalen Voraussetzungen für unsere Arbeit sind optimal: In Schleswig-Holstein sind gleich zwei marine Institute von Weltruf angesiedelt, das GEOMAR (Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung) in Kiel und das Hereon Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Zudem verfügt das Bundesland über eine sehr gut aufgestellte Hochschullandschaft: von der Hochschule Flensburg, mit ihrem maritimen Zentrum, bis hin zur CAU (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), der Fachhochschule Kiel, der Technischen Hochschule in Lübeck und der Fachhochschule Westküste. Mit fast allen an diesen Institutionen vorhandenen Technologietransferbeauftragten arbeiten wir bereits zusammen.
Für die Zukunft sehen wir sehr gute Anknüpfungspunkte für Technologietransfer in sogenannten „grünen Themen“. Derzeit findet die Wertschöpfung der maritimen Wirtschaft im Schiffbau, im Bereich der Mobilität, Logistik, in den Reedereien und Zulieferer-Unternehmen statt. In diesen Bereichen arbeiten rund 200.000 Beschäftigte in Schleswig-Holstein und es wird eine jährliche Wertschöpfung von ungefähr zwölf Milliarden Euro erwirtschaftet. Aktuell hat Deutschland dort noch eine Vorreiterrolle. Der Technologievorsprung gegenüber Asien beträgt im Schiffbau etwa zweieinhalb Jahre, verringert sich aber stetig. Deswegen müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir die maritime Branche fit für die Zukunft bekommen.
Als Betriebswirtin habe ich immer auch die Markt- und Kundenperspektive im Blick. Bei einer Analyse des Marktpotentials konnten wir feststellen, dass es in der marinen Grundlagenforschung vorwiegend um die Themen Nahrungsmittel, Meeresverschmutzung, Meeresspiegelanstieg und Biointelligenz geht. Diese Schwerpunkte betrachten wir nun in Bezug auf möglichen Technologietransfer intensiv. In diesen sogenannten „grünen und blauen Themen“ sehen wir erhebliches Potential zur Verbesserung der Wertschöpfungskette maritimer Wirtschaft.
FRAGE 2
IQIB: Welche Zielsetzung hat das Vorhaben? |
Nele Dageförde: Wir sehen unsere Rolle u.a. als Impulsgeber und Changemaker. Dabei entwickeln wir selbst Ideen für Geschäftsmodelle auf Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Grundlage. Auf Basis des Modells ziehen wir dann das Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft an Bord. Unsere Aufgabe liegt darin, die unterschiedlichen Bedürfnisse von Unternehmen und wissenschaftlichen Akteuren aufeinander abzustimmen. Das verlangt viel Einsatz, da die Herangehensweisen in diesen Bereichen sehr unterschiedlich sind. Grundsätzlich fokussieren wir uns beim Technologietransfer auf die späte Phase des Technology-Readyness-Levels. Der Technologietransfer-Prozess selbst vollzieht sich dann direkt in den Unternehmen oder an den Instituten, darin sind wir nicht direkt eingebunden.
Für neue Impulse und Änderungen braucht es ebenso Raum und Menschen, die den Wandel ermöglichen: Daher ist unser Portfolio auf drei Säulen aufgeteilt: „Dock“, „Hub“ und „Inkubator“. Das „Dock“ ist bei uns die zentrale Anlaufstelle, das Raumangebot. Dort können sich Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft zum Co-Working treffen oder sich einbuchen und die Arbeitsweise von TMT „inhalieren“ und für sich mitnehmen. Hier finden zudem Workshops und Veranstaltungen statt, die wir unter anderem in Kooperation mit anderen Instituten, Initiativen und Transfervorhaben planen und vernetzt aufsetzen. Uns ist es wichtig, dass wir keine weitere Parallelstruktur am Transfermarkt sind. Wir setzen auf Synergieeffekte der bestehenden Strukturen, wir setzen stark auf Zusammenarbeit. Wir vermeiden es die Ellbogen auszufahren und zu prüfen, wo sich der nächste Fördertopf findet. Die zweite Säule ist unser Netzwerk; wobei wir Wert darauf legen, dass es ein aktives Netzwerk ist. Wir versuchen, eng am Projektbedarf zu arbeiten und kurzfristig und mit Tempo loszulegen – also nicht erst nach einem halben Jahr.
Der Schwerpunkt unserer Arbeit im TMT liegt aber ganz klar auf dem dritten Bereich: dem „Inkubator“. Hier prüfen wir, ob hinter einer Idee auch ein potentielles Geschäftsmodell steckt und was das jeweilige Innovations- oder Technologievorhaben noch benötigt, um weiterwachsen zu können. Das können ganz unterschiedliche Aspekte sein: Einige Projekte sind schon so weit, dass man sie an ein Gründungszentrum abgeben muss, bei anderen steht erst noch Grundlagenarbeit an; wieder andere benötigen vielleicht nur noch zusätzliche Projektpartner. Fallweise schreiben wir auch Projektanträge mit – zum Beispiel, wenn wir überzeugt sind, dass sich relativ schnell ein Geschäftsmodell realisieren lässt.
Hinter diesen drei Säulen steht eine Digitale Community, die wir über unsere Kommunikationsplattform „Rocket.Chat“ aufgebaut haben. Jeder, der interessiert ist, kann an Themen mitarbeiten – so lange, bis es in ein Closed-Shop-Verfahren übergeht. So sind wir mittlerweile eine Art Hybridzentrum. Alle Angebote vor Ort sind auch digital verfügbar.
Vergangenes Jahr haben wir zudem einen Hackathon veranstaltet. Zwei Projekte daraus befinden sich nun im Closed Shop-Status. Zudem ist ein Start-up entstanden, das sich mit Seegras als Dämmmaterial beschäftigt. Das Projekt ist jetzt in den Gründungszentren in Schleswig-Holstein angesiedelt, weil wir am TMT gesehen haben, dass der Fokus initial nicht auf der Technologieentwicklung liegt. Dieses Team benötigt erst einmal Seed-Invest. Dies ist ein sehr positives Beispiel dafür, wie auch die Zusammenarbeit mit anderen Zentren und Projekten gelingen kann.
Aus dem Hackathon hervorgegangen ist auch ein weiteres vielversprechendes Transferprojekt, in dem wir den Ansatz der Kreislaufwirtschaft auf Basis von Seegraswiesen als CO₂ Senke verfolgen. Hier loten wir derzeit die Finanzierungsoptionen aus.
FRAGE 3
IQIB: Welche ist Ihre Rolle im Vorhaben? |
Nele Dageförde: Als Geschäftsführerin des TMT bin ich für die Strategie und den Aufbau des Zentrums zuständig. Netzwerken gehört selbstverständlich mit dazu. Zudem stehe ich im Austausch mit den Technologietransferbeauftragten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Schleswig-Holstein und versuche, in die Zusammenarbeit zu kommen, indem ich frage: Welche der auf wissenschaftlicher Basis erkannten Herausforderungen können wir gemeinsam lösen und wie könnten aus wissenschaftlicher Sicht Lösungen aussehen? Gleichzeitig bin ich auch bei operativen Themen aktiv, denn: Wir sind am TMT ein agiles Team.
FRAGE 4
IQIB: Welche Chancen und Hemmnisse sehen Sie? |
Nele Dageförde: Eine große Chance liegt in unserer Regionalität. Schleswig-Holstein ist ein kleines Bundesland und dort kennt man über zwei Ecken wirklich ziemlich schnell jeden. Netzwerke lassen sich dadurch leicht aufbauen und Beziehungsarbeit kann hervorragend gestaltet werden.
Als Hemmnis kann man sicherlich die fehlende Finanzierungsstruktur bezeichnen. Das, was SPRIN‑D momentan auf Bundesebene leistet, müsste es noch einmal mit einem regionalen Aspekt geben. Momentan ist es so, dass viele Technologieprojekte mit irgendeiner Art von Drittmitteln zwischenfinanziert werden. Die damit verbundene Administration bremst allerdings vieles aus. Wir spüren das auch am eigenen Leib: Das TMT ist bis Mitte 2023 mit EFRE-Mitteln (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung – EFRE) gefördert und das nimmt notwendigen Aktivitäten zum Teil ordentlich Tempo raus. Unternehmertum und Förderprojekt sind zwei Paar Schuhe. Das ist manchmal ein echter Drahtseilakt.
Was wir dringend benötigen, ist ein Bürokratie-Abbau bei Fördermitteln. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist ein Übermaß an Administration abschreckend. In der maritimen Wirtschaft in Schleswig-Holstein sind über 70 Prozent der Unternehmen KMUs mit weniger als zehn Mitarbeitern. Viele Betriebe können es sich einfach nicht leisten, für den Projektstart – währenddessen die Finanzierung in der Regel noch nicht steht – eine Person abzustellen.
FRAGE 5
IQIB: Welche Lessons Learned gibt es aus Ihrer Sicht? |
Nele Dageförde: Wir haben immer wieder Lessons Learned, da wir alle drei Monate eine Retrospektive durchführen und den Business Canvas des TMT auch iterativ weiterentwickeln. Die wesentliche Erkenntnis für das erste Jahr unseres Bestehens ist, dass Technologietransfer enorm viel Beziehungsarbeit ist. Zusätzlich sind für uns die wichtigsten Fragestellungen zu Beginn eines Projekts: Welches Problem wird eigentlich durch das Transfervorhaben konkret gelöst? Welchen ökonomischen und ökologischen Mehrwert bringt das? Oder geht es letztlich nur darum, sich ein Projekt zurecht zuschreiben, weil es einen „Fördertopf“ gibt?
Ebenso haben wir festgestellt, dass der Gründergeist von Wissenschaftler:innen gelegentlich überschätzt wird. Daher wäre es oftmals hilfreich, über einen unternehmerischen Counterpart zu verfügen, der/die die Geschäftsführung bei einer Ausgründung übernimmt. Eine neue Idee würde also durch einen Co-Founder vermarktet. Als Beispiel für solch ein Vorgehen könnte man das Modul Helmholtz Enterprise Plus aus dem internen Helmholtz Enterprise Programm für Ausgründungen nennen, das eine solche Finanzierung in der Vergangenheit ermöglicht hat, inzwischen aber leider nicht mehr verfügbar ist.
Möchten Sie jemanden für die Interview-Reihe vorschlagen oder selbst über ein Projekt berichten? Dann schreiben Sie eine E‑Mail an Redaktion@fokustransfer.